Der Betriebsbeginn des AKW Kudankulam 1 wurde wieder verschoben, offiziell auf Mai 2014. Realistisch gesehen, kann das AKW Kudankulam dieses Jahr nicht in Betrieb gehen. Der kommerzielle Betrieb ab Mai wäre reiner Etikettenschwindel oder eine gefährliche „quick and dirty” Lösung.
Instabiler Probelauf
Kudankulam 1 befindet sich seit der ersten Netzsynchronisation im Oktober 2013 im Probelauf. Seitdem wird der Öffentlichkeit suggeriert, das AKW sei in Betrieb (z.B. “Unit I of KNPP was completed and commissioned in UPA’s tenure”, Outlook India). Tatsächlich konnte es nicht einmal versuchsweise auf volle Leistung hochgefahren werden. Selbst bei reduzierter Leistung war ein stabiler Betrieb unmöglich. Nach Informationen des Netzbetreibers wurde die Stromlieferung dreizehn mal unterbrochen – wegen Tests, aber auch wegen unerwarteter Probleme. Tabelle 1 zeigt dies.
Verzögerungen sind in Kudankulam notorisch
Die Verschiebung des Betriebsbeginns auf Mai war zu erwarten (siehe AKW Kudankulam in Betrieb – April, April !!). Tabelle 2 zeigt die bisherigen Ankündigungen des Betriebsbeginns.
In der Regel aktualisiert die staatliche Betreibergesellschaft NPCIL jeweils in der Mitte eines Monats ihre Webseite mit der aktuellen Ankündigung – ohne jede Erklärung für Verzögerungen. Die indische Presse transformiert die tabellarische Information in Fließtext und stellt keine Fragen (z.B. DNA).
Tabelle 3 dokumentiert die monatlichen Ankündigungen für 2014. Deutlich wird auch, dass es beim Block 1 keinen messbaren Fortschritt gab, der Fertigstellungsgrad stagnierte bei 99,85%. (rote Markierung in Tabelle 3)
AKW-Chef dementiert sich selbst
Die Ankündigung des Betriebsbeginns wurde diesmal mit Details angereichert. Der AKW Chef R.Sundar teilte mit, man habe bei der Atomaufsichtsbehörde die erforderlichen Genehmigungen für das Hochfahren der Leistung auf 90 und dann auf 100 Prozent beantragt.
„Sobald der Reaktor auf 100 Prozent Leistung ist, wird eine Reihe von Tests durchgeführt werden. Die Tests werden 25 Tage dauern. Danach werden wir bekannt geben, dass der erste Block den kommerziellen Betrieb aufgenommen hat. Dies wird etwa in der Mitte des nächsten Monats passieren ” (R.Sundar in New Kerala am 13.4.2014)
Dies klingt nach einer bestellten Erklärung. Einige Tage zuvor hatte der AKW-Chef nämlich noch verlautbart, der kommerzielle Betrieb werde erst zum Jahresende aufgenommen. (RIR am 11.4.14).
„Commercial production is expected to commence by the end of this year. The power produced from KNPP will be sold at Rs 3.50 per KW, said Sundar.” (Business-Standard am 9.4.2014)
Möglicherweise meinte R.Sundar, realistischere Ankündigungen machen zu können, nachdem der Vertrag zu Kudankulam 3 und 4 in trockenen Tüchern war.
Das war wohl etwas voreilig. Die Wahlen zum indischen Unterhaus laufen noch bis Mitte Mai. Das Bekanntwerden gravierender Probleme in Kudankulam wäre für die regierende Kongresspartei ein Imageverlust. Auf der NPCIL-Webseite wurde schleunigst (am 9.April und nicht wie üblich am 15. des Monats) der Produktionsbeginn für Mai angekündigt. Mit den oben zitierten Details dementierte sich der AKW-Chef selbst.
Produktionsbeginn nicht mehr in diesem Jahr
Die Ankündigungen der NPCIL zu Kudankulam sind nicht glaubwürdig, weil sie sich über dreißig mal als falsch erwiesen haben. Die Terminprognosen des AKW-Chefs R.Sundar haben die gleiche Qualität.
Nirgends wurde dem Bericht des Business-Standard vom 9.April 2014 inhaltlich widersprochen. Kein einziges Argument wurde genannt, warum der kommerzielle Betrieb nun doch schon im Mai und nicht erst zum Jahresende möglich sein soll.
Die Mai-Prognose wird durch die Angaben zum Grad der Fertigstellung konterkariert. Rechnen wir mit einem Baufortschritt von 0,01 Prozent pro Monat, dann wird Kudankulam 1 in einem Jahr noch nicht fertig sein.
Auch ein Blick auf die Fertigstellungszeiten vergleichbarer VVER1000-AKWs zeigt, dass eine Inbetriebnahme Kudankulams entsprechend den Prognosen der NPCIL einem Wunder gleichkäme. Buschehr-1 im Iran brauchte 24 Monate von der ersten Netzsynchronisation bis zum kommerziellen Betrieb, Tianwan-1 in China immerhin 12 Monate. Die NPCIL wollte das zunächst in nur einem Monat schaffen, inzwischen immer noch in der Rekordzeit von sieben Monaten. Es spricht nichts dafür, anzunehmen, in Kudankulam gäbe es weniger Probleme als in Buschehr oder Tianwan. Das Gegenteil ist der Fall.
„quick and dirty” Betrieb ab Mitte Mai?
Sollte der AKW-Chef seine Ankündigung wahr machen und tatsächlich Mitte Mai den kommerziellen Betrieb von Kudankulam 1 bekannt geben, wäre dies lediglich eine kaufmännische Umetikettierung oder eine schmutzige Inbetriebnahme.
Im kommerzielle Betrieb bekäme die NPCIL einen höheren Preis pro Kilowattstunde (3,5 Rupien statt 1 Rupie). Andererseits müsste sie eine minimale Stabilität der Stromerzeugung gewährleisten. Mit dem Start des kommerziellen Betriebs beginnt auch die Garantiezeit für das AKW abzulaufen. Dann wäre Rosatom bald jede Verantwortung los, Kudankulam 1 fällt nicht unter das indische Atomhaftungsgesetz. Nicht umsonst kosten die neuen AKWs mit Haftung das Doppelte.
Wirklich gefährlich würde es, wenn das AKW-Management auf eine „quick and dirty” – Lösung setzen und die Inbetriebnahme abkürzen würde. Durch Verzicht auf Kontrollen und Testläufe und durch großzügige Auslegung von Sicherheitsstandards und Qualitätsnormen.
Nach allen Prognosen sind die Tage der Kongressregierung gezählt. Eine neue Regierung könnte für das zumindest vorläufige Scheitern Kudankulams ihre Vorgängerin verantwortlich machen. Entscheidend wird aber sein, welche Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten gerade auch auf persönlicher Ebene bestehen.