Wahlkandidaten aus dem AKW-Widerstand wurden nicht verhaftet

S.P.Udayakumar im Wahlkampf - Foto von Amirtharaj Stephen -

S.P.Udayakumar im Wahlkampf
– Foto von Amirtharaj Stephen –

Das sollte in einer Demokratie wie Indien selbstverständlich sein. Sollte. Wenn die Kandidaten aus der Bewegung gegen das Atomkraftwerk Kudankulam kommen, ist die Nicht-Verhaftung von kriminalisierten AKW-Gegnern ein Ereignis.

Zum ersten Mal nach über zwei Jahren verließen am 29.3.14 die drei Aktivisten  M.P. Jesuraj, M. Pushparayan und S.P. Udayakumar den Fischerort Idinthakarai. Sie kandidieren bei den indischen Parlamentswahlen in den drei südlichsten Bezirken Tamil Nadus für die Aam Aadmi Party (AAP). Am 29.3.14  meldeten sie bei den Wahlleitungen in den Bezirkshauptstädten offiziell ihre Kandidatur an. Das Risiko einer Verhaftung hatten die drei prominenten Aktivisten bewusst in Kauf genommen, sie waren bereit ins Gefängnis zu gehen.

Kriminalisierung

Gegen die Anti-AKW-Bewegung wurde in den letzten Jahren eine beispiellose Kriminalisierungskampagne inszeniert: Die Polizei hat 349 Anzeigen gegen insgesamt 227.000 Beschuldigte aufgenommen. 5.000 Beschuldigte sind namentlich erfasst. (Zahlreiche Anzeigen folgen dem Muster: „Frau Sowieso und 1.000 weitere Personen werden beschuldigt …”). Gegen viele laufen gleich mehrere Anzeigen. Tausenden werden Aufruhr und Krieg gegen den Staat vorgeworfen. Wegen Aufruhr („sedition”) kann lebenslängliche Haft verhängt werden. Zu den Hauptbeschuldigten gehören die drei genannten Aktivisten.

Udayakumar wird daran gehindert, sich der Polizei zu stellen. (Foto von Amirtharaj Stephen 11.9.2012)

Bild 1: Udayakumar darf sich nicht der Polizei stellen.
– Amirtharaj Stephen 11.9.2012 –

Bild 2: Pushparayan muss die Bestattung seines Vaters am PC verfolgen - Amirtharaj Stephen 13.12.2013 -

Bild 2: Pushparayan muss die Bestattung seines Vaters am PC verfolgen. – Amirtharaj Stephen 13.12.2013 –

Belagerungszustand

Im März 2012 hatten massive Polizeikräfte die Wiederaufnahme der Arbeiten im AKW Kudankulam  erzwungen. Aus der Belagerung des AKW durch die AKW-Bewegung wurde eine Belagerung der AKW-GegnerInnen durch die Staatsmacht. Das nur wenige Kilometer vom AKW entfernte Fischerdorf Idinthakarai wurde von der Polizei abgesperrt. Der öffentliche Nahverkehr dorthin wurde eingestellt. Die Bevölkerung Idinthakarais schützte die Aktivisten. „Ihr müsst uns alle verhaften”. Als im September 2012 die Polizei in den Ort eindrang und die BewohnerInnen terrorisierte, wollte sich Udayakumar freiwillig der Polizei stellen (Bild 1). Das ließen die Menschen nicht zu und Fischer verbrachten  ihn über das Meer an einen unbekannten Ort.  M. Pushparayan musste Ende letzten Jahres die Bestattung seines Vaters am Bildschirm verfolgen (Bild 2). 200 PolizistInnen standen bei der Trauerfeier in Tutikorin bereit, um den Aktivisten festzunehmen.

Bedrohung und Teil-Amnestie

Im Mai 2013 hatte das Oberste Gericht Indiens die Nutzung der Atomenergie für unverzichtbar erklärt und die Inbetriebnahme des AKW Kudankulam genehmigt. Mit einigen Auflagen. Zur Befriedung des Konfliktes sollten die Verfahren gegen die AKW-GegnerInnen eingestellt werden.

Die Exekutivorgane weigerten sich allerdings dieser Auflage nachzukommen. Die Zeit dafür sei noch nicht reif, solange mit Hungerstreiks gegen das AKW protestiert würde. Das Oberste Gericht ordnete am 28.3.14 an, die drei Wahlkandidaten nicht festzunehmen, wenn sie am Folgetag Idinthakarai verlassen. Die Entscheidung über die präventiv beantragte Freilassung auf Kaution müsse abgewartet werden. S.P. Udayakumar berichtete auf Facebook, die Staatsmacht folge ihm auf Schritt und Tritt. Die Polizei von Kudankulam beklagte vor Gericht, Udayakumar sei geflüchtet. Das Bedrohungsszenario bleibt erhalten.

Inzwischen hat die Regierung Tamil Nadus 248 der 349 Verfahren eingestellt. Die übrigen Verfahren wegen der Belagerung des AKWs, wegen Übergriffen gegen Privatpersonen und  im Zusammenhang mit Gewalt gegen Staatsbedienstete würden aber aufrecht erhalten. Gegen jeden der drei Wahlkandidaten laufen mehr als ein Dutzend Anzeigen wegen Aufruhr.

Mit einer Amnestie versuchen die Herrschenden, Massenbewegungenin in einer Abschwungphase den Rest zu geben, den Konflikt endgültig zu befrieden. Das ist auch die Absicht des Obersten Gerichtes. Es scheint auch die Wahlbeteiligung als Integrationsmaßnahme zu honorieren. Die Regierung Tamil Nadus dagegen will die Kriminalisierungskeule noch nicht aus der Hand geben, sie traut dem Frieden nicht. Ihre halbherzige Teil-Amnestie wird niemanden beeindrucken. WählerInnen wird die Regierungspartei damit nicht gewinnen.

Quellen: Hindu 4.4.14 und 26.3.14, Times of India 1.4.14 , Indian Express 31.3.14, Business Line 4.4.14