Ende April ging durch die Medien die Nachricht, die Electricité de France (EDF) habe “ein verbindliches Angebot für den Bau von 6 EPR Reaktoren in Jaitapur” abgegeben. Das ist zumindest ungenau. Die EDF hat lediglich die Lieferung von in Indien nicht zertifizierten Komponenten und Konstruktionspläne angeboten. Bauen soll die weltgrößten Atomanlage die staatliche Nuclear Power Corporation of India (NPCIL).
“EDF drückt sich vor der Verantwortung als Investor und Bauherr, weil sie sich bei Flamanville in der Normandie und Olkiluoto in Finnland die Finger verbrannt haben, wo es zu enormen Verzögerungen und Verlusten gekommen ist”, erklärte Satyajit Chavan, Vorsitzender der Vereinigung Jan Hakka Seva Samiti, die seit vielen Jahren den Widerstand gegen das Atomprojekt in Jaitapur organisiert.
Außerdem schweige die EDF zu der anderen grundlegenden Frage, dem Preis. In der EDF-Pressemitteilung würden weder die Baukosten noch der Preis des Strom aus dieser riesigen Anlage erwähnt. Die indische Regierung sollte dieses Angebot kategorisch ablehnen, forderte der Satyajit Chavan in einem Gespräch mit Le Monde. Wegen der katastrophalen Corona-Lage verzichten die AKW-GegnerInnen erst einmal auf Protestaktionen.
Was bietet EDF an und was nicht?
Am 23.April 2021 teilte die EDF die Abgabe eines verbindlichen technisch-kommerziellen Angebots mit. Das Angebot selbst wurde als vertraulich klassifiziert, Auf über 7.000 Seiten sollen technische Konfiguration der Reaktoren und Vertragskonditionen detailliert beschrieben sein. Die lokalen Bedingungen – Jaitapur liegt in einem Erdbebengebiet – seien so berücksichtigt, wie sie von NPCIL beschrieben worden seien.
EDF werde die nuklearen Komponenten liefern, GE Steam Power die für den konventionellen Bereich. Außerdem würden technische Unterlagen und Konstruktionspläne zur Verfügung gestellt. EDF garantiere die Leistung der gelieferten Komponenten für einen “vordefinierten Zeitraum”. Während der Bauphase werde EDF ihre AKW-Bau-Erfahrungen mit den indischen Partnern teilen. EDF werde auch das Betriebspersonal schulen.
Im Einklang mit Indiens Initiativen “Make in India” und “Skill India” werde EDF die Beteiligung der indischen Industrie unterstützen. Dazu werde eingehend geprüft, welche indischen Unternehmen als Zulieferer in Frage kommen. Bisher seien bereits 200 einheimische Unternehmen identifiziert worden. Für die Ausbildung einheimischer Fachleute solle ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden.
EDF betonte in der Pressemitteilung, nur die Technologie als solche liefern zu wollen. Für Bau und Inbetriebnahme des AKWs sei die indische NPCIL verantwortlich. Diese müsse auch alle Zulassungen und Zertifizierungen einholen. EDF werde sich auch nicht als Investor an dem Megaprojekt beteiligen.
Was ist daran neu?
2008 wurde das Atomembargo gegen Indien aufgehoben. Im Gegenzug hatte Indien den Import von AKWs zugesagt und dafür Standorte benannt, u. a. Jaitapur für sechs französische Reaktoren. Seit dieser Zeit verhandeln Areva bzw. EDF mit Indien über den Bau von sechs EPR-Blöcken in Jaitapur. Vor zehn Jahren hatte Areva ein “technisch-kommerzielles Angebot” für den Bau von zunächst 2 EPR-Blöcken abgegeben. Unterschiedliche Preisvorstellungen verhinderten damals einen Vertragsabschluss.
Eine strategische Wende erfolgte vor sechs Jahren. Areva erklärte angesichts der bevorstehenden Pleite, keine weiteren AKWs zu bauen, sondern nur noch Komponenten zu liefern. Dieser Kurs wurde von der EDF beibehalten. Fortan ging es um Verträge für alle sechs Blöcke, Skaleneffekte der Kleinserienproduktion sollten die Kosten reduzieren. GE wurde als Partner ins Projekt geholt. Indische Firmen sollten eine bedeutende Rolle übernehmen und entsprechende Produktionskapazitäten aufbauen. Ein entsprechendes Angebot wurde vor drei Jahren von der indischen Seite nicht angenommen, es fehle ein Referenzprojekt, ein EPR-AKW im kommerziellen Betrieb.
Anhand der wenigen veröffentlichten Informationen zum Angebotsinhalt ist schwer zu beurteilen, was darin neu ist. Anscheinend wurden die erforderlichen Komponenten und Dienstleistungen in einem Gesamtkonzept beschrieben. Die Arbeitsteilung zwischen den Beteiligten könnte jetzt eindeutiger geregelt sein. Auffallend ist, dass EDF explizit jede Verantwortung ablehnt und auch mit der Zertifizierung der EPR-Technologie in Indien nichts mehr zu tun haben will.
Wann wird gebaut?
EDF erwartet den Vertragsabschluss “in den nächsten Monaten”. Dies ist eher unwahrscheinlich: Über Preisen und Kosten liegt ein Mantel des Schweigens. Möglicherweise sind diese auch noch offen. Die Finanzierung ist unklar. Die Zertifizierungen durch die indischen Behörden werden geraume Zeit in Anspruch nehmen. Als Referenzprojekt soll Flamanville herhalten. Der EPR dort geht aber frühestens 2023 in Betrieb. In Maharashtra, dem indische Bundesstaat, in dem Jaitapur liegt, stellt die hindu-nationalistische Shiv Sena seit 2019 mit Uddhav Thackeray den Regierungschef. Der lehnt das AKW-Projekt Jaitapur weiterhin ab. Und dann ist da noch der Widerstand der lokalen Bevölkerung.
Wird überhaupt gebaut?
Ob das AKW überhaupt gebaut wird, scheint durchaus fraglich, wenn man sich die Interessen der Beteiligten anschaut.
Die Interessen der französischen Seite sind klar: Mit dem Verkauf von Komponenten und Dienstleistungen verdienen in Frankreich etwa einhundert Firmen. Framatom und Edvance in Erlangen dürften ebenfalls profitieren. EDF erhofft sich über die gesamte Projektdauer (laut EDF ca. 15 Jahre) erhebliche “wirtschaftliche Vorteile”. Vielleicht könnten in Jaitapur sogar einige Komponenten zweiter Wahl verbaut werden. EDF bietet ja Komponenten an, die in Indien (noch) nicht zertifiziert sind.
Was aber treibt die indische Regierung an?
Strom kann schneller, billiger, klimafreundlicher, umweltschonender und risikoärmer erzeugt werden. Dazu braucht es kein AKW. Das weiß auch die indische Regierung. Sinn macht das Jaitapur-Projekt im Kontext der Großmachtpläne der indischen Regierung (siehe dazu: “AKWs für Indiens militärische Supermacht-Ambitionen”). Diese strebt den eigenständigen atomaren Ausbau der Kriegsmarine an (Reaktoren für U-Boote und Flugzeugträger). Dazu fehlen Indien Knowhow und industrielle Basis. Diese Defizite sollen mit dem Bau des AKWs in Kudankulam und eines Tages vielleicht auch in Jaitapur behoben werden. Stromproduktion für die Bevölkerung ist dabei zweitrangig. Die Zusammenarbeit mit EDF reduziert die einseitige Abhängigkeit von Rosatom.
Ob die Realisierung des Jaitapur-Projekts zur atomaren Aufrüstung der indischen Marine notwendig wird, kann nur im Gesamtkontext der französisch-indischen Rüstungskooperation gesehen werden. Dabei geschieht vieles unterhalb des Radars der Öffentlichkeit.
Ein Megaprojekt mit überkomplexer Technik, ausgeführt von einem Sammelsurium unerfahrener Unternehmen und Lieferanten, die schon im Vorfeld jegliche Verantwortung von sich weisen – das kann nicht gutgehen. Der Versuch, das AKW in Jaitapur zu bauen, kann jedenfalls nur in einem Desaster enden. Je früher das Projekt begraben wird, desto geringer wird der Schaden sein.