Lähmung der Anti-AKW-Bewegungen nach der Wahl

Kurz nach der Wahl kursierten Gerüchte, die neue Regierung unter Modi werde den Ausbau der Atomenergie hintan stellen. Inzwischen lässt Premier Modi keine Zweifel, dass er das Atomprogramm der Vorgängerregierung mit aller Macht umsetzen wird. Die Anti-AKW-Bewegungen haben dem wenig entgegen zu setzen – aus Widerstand wird Protest.

Fortsetzung des Atomprogramm

Modi will alle geplanten Atomanlagen bauen und in den nächsten zehn Jahren die Atomenergie-Produktion mindestens verdreifachen. Eine Voraussetzung ist der Abschluss des lange verhandelten Atomhandelsabkommen mit Japan, das es der japanischen Industrie erlaubt, AKWs oder AKW-Komponenten nach Indien zu liefern, obwohl Indien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ende August reist Modi nach Tokio, um den Vertrag unter Dach und Fach zu bringen. Eine weitere Voraussetzung ist die Klärung der Haftungsfrage: Entweder ändert Modi mit seiner absoluten Mehrheit im indischen Parlament das Atomhaftungsgesetz – dieses sieht vor, dass im Katastrophenfall auch Zulieferer haften müssen – oder er bringt das von der Vorgängerregierung geplante Versicherungskonsortium zusammen, um den Zulieferern das Haftungsrisiko abzunehmen. Bei seiner USA-Reise Ende September möchte Modi Vollzug melden, damit auch General Electric und Westinghouse endlich ihre AKWs nach Indien liefern können. Im Gegenzug zur Aufhebung des Atomembargos 2008 hatte Indien den USA diese Geschäfte zugesichert.

Und dann geht es nur noch um den Preis der zu liefernden AKWs. Ein aufwändiges Ausschreibungsverfahren erübrigt sich, da den Konzernen Rosatom, Areva, Westinghouse und General Electric in politischen Vereinbarungen bereits Standorte zugesichert wurden.

Und die Widerstandsbewegungen an den Standorten? Als Regierungschef von Gujarat hat Modi unter Beweis gestellt, dass er mit dem Einsatz von Gewalt keine Probleme hat. Der Fortschritt fordert halt auch Opfer. Mit der Veröffentlichung eines Geheimdienstberichtes hat die Regierung Modi deutlich gemacht, dass sie keine Opposition dulden wird. Nicht nur Atom-GegnerInnen, sondern alle Initiativen und Bewegungen, die sich gegen Landraub, Umweltzerstörung und genmanipulierte Nahrung wehren oder für Arbeiter- und Bürgerrechte einsetzen, müssen mit verstärkter Repression rechnen. Sie werden als „Gefahr für die nationale Sicherheit” Indiens betrachtet und für das Sinken des Wirtschaftswachstum verantwortlich gemacht. So können hindu-nationalistische Schlägertrupps gegen alle mobilisiert werden, die sich der Politik für die Konzerne in den Weg stellen.

Vom Widerstand zum Protest

Die Anti-Atombewegungen in Indien stagnieren oder gehen zurück, ein fünfjähriger Kampfzyklus scheint zu Ende zu gehen. Begonnen hatte dieser Zyklus in Jaitapur schon vor der Fukushima-Katastrophe. Diese hat zu einem weiteren Aufschwung der Bewegungen beigetragen. Im Sommer 2011 mussten die Pläne für das AKW Haripur aufgegeben werden. In Kudankulam konnte ein halbjähriger Baustopp erkämpft werden. In Jaitapur verweigerten die Bauern jahrelang die Annahme der Kompensationszahlungen für das enteignete Land. An allen geplanten AKW-Standorten entstanden Widerstandsbewegungen.

Mit den Wahlen im Frühjahr 2014 fand dieser Zyklus sein vorläufiges Ende. Danach fanden nur vereinzelte regionale Protestaktionen statt. Die Forderung nach einem Moratorium beim Bau neuer AKWs wurde dominant. Stimmen für die Stilllegung aller Atomanlagen sind kaum noch zu vernehmen. S.P. Udayakumar, der Sprecher der Bewegung gegen das AKW Kudankulam, versicherte, Verhinderungsblockaden werde es nicht mehr geben.

We do not believe in violence or physically stopping work on KKNPP. (DNA India 9.7.14)

Er fordert ganz im Stile der AAP lediglich eine demokratische Debatte und Entscheidung über die Nutzung der Atomenergie in Indien. Eine Pro-Entscheidung werde er gegebenenfalls akzeptieren.

We are asking for a public debate… if people are ready to accept nuclear power, we’re ready to go with that. (Telegraph India 8.7.14)

In den Verlautbarungen der PMANE (Peoples Movement against Nuclear Power) tauchten immer häufiger nationalistische Stereotype auf, Atomenergie werde der indischen Nation von Ausländern aufgezwungen.

Die Akzeptanz bestehender Atomanlagen, der Verzicht auf Verhinderungsblockaden und die nationalistische Sprache haben einen gemeinsamen Nenner: die Orientierung auf Wahlen, die Hoffnung durch Anpassung an weit verbreitete Stimmungen Einfluss und WählerInnen gewinnen zu können.

Kudankulam

Das AKW Kudankulam 1 ist abgeschaltet, am 16. Juli stand plötzlich die erste Jahreswartung an. Angeblich soll das AKW Ende August 2014 in Produktion gehen. Der Beginn des kommerziellen Betriebes wurde schon mehr als dreißig Mal angekündigt – und immer wieder verschoben. Die IAEO behauptet dagegen, das AKW Kudankulam 1 sei schon seit dem 30. Juni 2014 im kommerziellen Betrieb. Im Mai 2014 ereignete sich im AKW ein Störfall, bei dem sechs Beschäftigte schwerste Verbrennungen erlitten. Die Betreiber leugneten diesen Störfall zunächst, und erzählten dann, etwas heißes Wasser sei ausgelaufen, weil Vorschriften nicht eingehalten worden seien.

Das zweite AKW in Kudankulam soll angeblich „in Kürze” in Produktion gehen. „In Kürze” heißt März 2015. Aber dieser Termin wird derzeit wieder überprüft.

Obwohl Rosatom nun schon seit zwölf Jahren an den AKWs baut, und den Fertigstellungstermin immer wieder verschieben musste, überzeugte das nicht funktionierende Produkt die indischen Auftraggeber. Sie haben zwei weitere AKWs bestellt. Nur die Haftung ist noch nicht im Detail geregelt.

Die Bewegung gegen das AKW Kudankulam scheint sich mit den gebauten AKWs abgefunden zu haben. Sie fordert lediglich eine Überprüfung der Sicherheit durch unabhängige Experten. Gegen den Vertrag für Kudankulam 3 und 4 hatten die Frauen in Idinthakarai eine Protestdemonstration organisiert, während die führenden Männer der PMANE Wahlkampf betrieben. Bei seinem Indienbesuch im Dezember dieses Jahres soll der russische Präsident Putin auch in Kudankulam vorbeikommen.

Jaitapur

In Jaitapur ist außer einer Mauer um das Gelände noch nichts gebaut. Die meisten Landbesitzer haben inzwischen die in die Höhe getriebenen Kompensationszahlungen akzeptiert. Die Fischer, deren Existenz durch den AKW-Bau zerstört würde, gehen allerdings leer aus. Die Ablehnung der AKWs in der Region ist so stark, dass die hindu-nationalistische Shiv Sena glaubt, dort die Wahlen für das Landesparlament nur gewinnen zu können, wenn sie weiterhin gegen das AKW opponiert. So hat die Shiv Sena zu einer Demonstration der AKW-Gegner am 18. Juni mitmobilisiert.

Die Shiv Sena, nur in Maharashtra von Bedeutung, stellt in der Regierung Modis einen Minister. Bei Wahlen tritt sie in der Nationaldemokratischen Allianz (NDA) zusammen mit Modis BJP an. Und Modi hat sich ganz klar für den Bau des AKWs in Jaitapur ausgesprochen. Die Verhandlungen mit Areva laufen noch. Es geht vor allem um den Preis. Irgendwie muss es Areva noch gelingen, die indische Seite davon zu überzeugen, dass in Jaitapur alles billiger und zuverlässiger sein wird, als im finnischen Olkiluoto, wo die Kosten für den EPR (Typ des Areva-AKW auch in Jaitapur) explodiert sind. Dass weltweit noch kein einziger EPR erfolgreich fertig gestellt wurde, hindert die indische Regierung nicht daran, Milliarden Euro in dieses Projekt zu stecken. Offen ist auch noch die Lieferung von EPR-Komponenten aus Japan. Das Atomhaftungsgesetz will die französische Regierung dagegen akzeptieren.

In Jaitapur (und auch in der Bewegung gegen das AKW) gewann die Shiv Sena großen Einfluss. Bei den nationalen Wahlen wählte selbst die Muslimgemeinde Sakhri Nate hindu-nationalistisch. Das wird sie bei den Landeswahlen im Oktober wiederholen. Die Stunde der Wahrheit kommt nach den Wahlen. Allgemein wird erwartet, dass BJP und Shiv Sena in Maharashtra eine Koalitionsregierung bilden werden. Der Shiv Sena werden Macht und lukrative Posten wichtiger sein als die Ablehnung des AKW-Baus. Modi wird seine Zusagen an die Konzerne einhalten. Vielleicht erhalten einige Fischer Kompensationszahlungen in irgendeiner Form. Gruppen die dann noch opponieren, gefährden die Sicherheit der Nation. Auf sie wird das klassische Feindbild aller Hindu-Nationalisten, „aus Pakistan ferngesteuerte Muslims”, projiziert werden. Keine guten Aussichten.

Solidarität

Wer für die Stilllegung aller Atomanlagen – weltweit und sofort – eintritt, kann keine der Gruppen und Bewegungen in Indien vorbehaltlos unterstützen. Neben den nationalistischen Tendenzen hindert daran auch die weitgehende Akzeptanz bestehender Atomanlagen. Unsere Solidarität kann nur kritisch sein. Erfahrungsaustausch und globale Diskussionen stecken noch in den Anfängen. Ansätze zur Vernetzung konzentrieren sich bislang stark auf Einzelpersonen. Direkte Kontakte zwischen Gruppen in Deutschland und Indien sind noch rar.

Die wichtigste Form der Solidarität bleibt der Kampf gegen die Atomprofiteure im eigenen Land. Aktionen gegen Konzerne und Unternehmen in Deutschland, die vom Ausbau der Atomenergie in Indien profitieren, sind auch ein Zeichen gegen den nicht nur in Indien grassierenden Nationalismus.