Widerstand an allen neuen AKW-Standorten Indiens

“Noch ist die Anti-Atomkraft-Bewegung in Indien klein.” behauptet der Deutschlandfunk in einem Hintergrundbericht am 23.8.13. Der Bericht geht mit keinem Wort auf den Widerstand in Südindien ein. Immerhin erkämpften die Menschen dort einen vorübergehenden Baustopp. Kudankulam war in den letzten Jahren das Zentrum des Widerstandes gegen die  Atomkraftwerke. “Kudankulam – ein zweites Jaitapur?” fragte der Fernsehsender IBNlive vor zwei Jahren, als der Widerstand in Jaitapur im Fokus stand. Vor kurzem erschien ein Bericht mit der Überschrift “Mithi Virdi – das nächste Kudankulam …”.

An allen neuen Standorten wehren sich die Menschen gegen den Bau von Atomkraftwerken. Die Bewegungen sind zwar stark regionalisiert und finden in den großen Städten wenig Widerhall. Sie konnten aber an einigen Standorten den Bau von Atomkraftwerken verhindern.

Die bereits existierenden 19 AKWs verteilen sich auf sechs Standorte und haben zusammen genommen eine theoretische Leistungskapazität von 4,7 GW. Das Atomprogramm Indiens sieht einen massiven Ausbau vor – auf 64 GW bis 2032. Dafür sollen an den Küsten Indiens fünf riesige Atomanlagen mit jeweils sechs importierten Reaktoren errichtet werden. An weiteren Standorten im Landesinnern sind kleinere “Atomparks” mit meist vier indischen Reaktoren geplant.

In der folgenden Übersicht zu den neuen Standorten werden Lieferant, Anzahl und Leistung der Reaktoren und der Stand der Bauarbeiten beschrieben, ergänzt durch Hinweise auf den Widerstand. Zuerst die Standorte im Landesinnern und dann die am Meer – jeweils von West nach Ost.

NeueStandorte

Banswara in Rajasthan

Indisch (NPCIL), 4 x 700 MW

Die Standortwahl wurde durch die Zentralregierung grundsätzlich bestätigt. Das Projekt soll in der Planungsperiode 2012-17 starten.

Im Juli 2012 hielten tausende BewohnerInnen einen Parlamentarier fest und zwangen ihn, einen Protestbrief an den Ministerpräsidenten zu schreiben. “Gherao” nennt sich diese Aktionsform in Indien, bei uns als “Bossnapping” aus Frankreich bekannt. Villagers gherao MLA’s vehicle in Jaipur.

Gorakhpur in Haryana

Indisch (NPCIL), 4 x 700 MW

Die meisten der 800 Landbesitzer haben Entschädigungen angenommen. Der Bauzaun wurde errichtet.

Seit August 2010 protestierten Bauern der umliegenden Dörfer mit einem Sit-In (Dharna). Im September 2011 starb dabei der 60-jährige Bauer Ishwar Singh Siwach. Farmer on dharna against acquisition of land dies. Erbitterte Bäuerinnen und Bauern blockierten danach die Straße. Dieser Protest wurde nach zwei Jahren durch angehobene Kompensationszahlungen beendet.

Aber der Widerstand formierte sich neu. Das Kühlwasser für die AKWs soll dem Bhakra Kanal entzogen werden. Dabei war dieser Kanal einst für die Bewässerung von Agrarflächen gebaut worden. Jetzt protestieren die Bauern unterhalb des AKWs, da sie auf das Wasser des Kanals angewiesen sind. In Gorakhpur, the struggle against nuclear power continues.

Überblicksartikel vom Juni 2013 Nuclear Shadow Over Delhi: the Struggle against the proposed Gorakhpur Nuclear Power Plant .

Aktuelle Informationen auf Dianuke.org.

Chutka in Madhya Pradesh

Indisch (NPCIL), 2 x 700 MW

Anhörungsverfahren sollen demnächst stattfinden.

Ein großer Teil der Menschen in den Dörfern Chutka, Tatighat, Kunda and Manegaon war 1984 für den Bau des Bargi-Staudamms an der Narmada schon einmal vertrieben worden. Mit der Auswahl des Standorts im Jahre 2009 begann auch der Widerstand. Die Gemeinderäte verabschiedeten Resolutionen gegen den AKW-Bau. Erkundungsteams wurde der Zugang nach Chutka verwehrt. Ende Juli 2013 musste die öffentliche Anhörung wegen Protesten der betroffenen Bevölkerung zum zweiten Mal abgesagt werden. People’s Victory Against Chutka

Mithi Virdi in Gujarat

Westinghouse, 6 x 1.150 MW, AP1000

Der Genehmigungsprozess läuft. Die Vertragsverhandlungen zwischen Westinghouse und dem indischen Betreiber NPCIL kommen seit Jahren nicht voran. Obgleich US-Außenminister Kerry bei seinem letzten Indienbesuch eine Vereinbarung bis spätestens September 2013 forderte, ist nach wie vor unklar, wie das indische Atomhaftungsrecht für die Lieferanten ausgehebelt werden kann. Diese wollen im Katastrophenfall nicht haften, nicht einmal mit den vom indischen Haftungsrecht vorgesehenen 300 Mio. Dollar.

Im April 2010 beteiligten sich 8.000 Menschen aus der Region an einer Demonstration anlässlich des Tschernobyl-Jahrestages. Im März 2013 verließen Tausende unter Protest die öffentliche Anhörung.

Für Westinghouse Nuclear arbeiten in Mannheim 350 Menschen. Westinghouse beliefert die Eon-Atomkraftwerke (Isar 2, Brokdorf, Grohnde und Grafenrheinfeld) mit Brennelementen.

Reportage August 2013: Is The Next Koodankulam in Gujarat?

Jaitapur in Maharashtra

Areva, 6 x 1,650-MW, EPR

Das Land für den Reaktorbau wurde enteignet. Um das Baugelände wurde eine Mauer errichtet. Seit Jahren verhandelt Areva mit der indischen Seite über die Konditionen. Explodierende Kosten und das Haftungsrecht verhindern eine schnelle Einigung. Areva sucht beim französischen und beim deutschen Staat Unterstützung.

Nur wenige der zweitausend enteigneten Landbesitzer haben die Entschädigungszahlungen angenommen. Die Bevölkerung wehrt sich mit Demonstrationen und Boykottaktionen. Der Staat antwortet mit Repression. Am 18. April 2011 wurde der Fischer Tabrez Soyekar bei einer Demonstration erschossen.

Für Areva arbeiten in Deutschland über 5.000 Menschen, hauptsächlich in Erlangen und Offenbach. Areva betreibt aber auch die Plutoniumfabrik in Lingen. Aus Karlstein am Main werden Komponenten für die Brennelemente nach Lingen geliefert.

Weitere Informationen auf dianuke.org

Kudankulam in Tamil Nadu

Rosatom, 6 x 1000 MW, VVER1000

Der erste Reaktor ist kritisch, der zweite soll 2014 fertig sein. Über den 3. und 4. Reaktor wird verhandelt, zwei weitere sind geplant.

Kudankulam hat im Sommer 2011 Jaitapur als Zentrum des indischen AKW-Widerstands abgelöst. Seither wird ein Ketten-Hungerstreik durchgeführt. Mit Blockadeaktionen wurde ein zeitweiliger Baustopp erkämpft. Der indische Staat setzt den AKW-Bau mit Gewalt durch. Bei Demonstrationen wurden zwei Fischer getötet. In der Region herrscht seit dem Ende des Baustopps im März 2012 der Atomstaat: Der öffentliche Nahverkehr ist eingestellt. Die Polizei kontrolliert den Zugang zu den Ortschaften. Drohnen über dem AKW registrieren jede menschliche Regung im Umkreis von zwölf Kilometern.

Die Rosatom-Tochter Internexco wickelt in Sulzbach/Taunus ihre Uran-Handelsgeschäfte ab. Auch deutsche Firmen wie Siemens München und die Kaefer Group Bremen beteiligen sich am AKW-Bau in Kudankulam.

Weitere Informationen auf indien.antiatom.net und auf dianuke.org

Kovvada in Andhra Pradesh

GE Hitachi, 6 x 1000 MW (oder 1.594 MW), ESBWR

Bis Oktober 2013 soll das Bauland zur Verfügung stehen. Dazu sollen 3.000 Familien vertrieben werden. Protest brewing in Kovvada a la Kudankulam.

Nach Fukushima blockierten die EinwohnerInnen die Nationalstraße und forderten die Einstellung des Projektes. Im März 2013 wurde die Landenteignung vorübergehend gestoppt. Seit Dezember 2012 führen AnwohnerInnen einen Ketten-Hungerstreik nach dem Vorbild Kudankulams durch.

Haripur in West Bengal

Rosatom, 6 x 1000 MW, VVER1000

Der Standort Haripur wurde 2011 nach den Wahlen in West Bengalen auf Eis gelegt. Die Regierung West Bengalens (dem Kongress nahestehend) hat zugesagt, in ihrem Bundesstaat überhaupt kein Atomkraftwerk bauen zu wollen. Rosatom fordert einen neuen Standort, die Zentralregierung spielt auf Zeit.

Mit Blockaden wurde den Atomfirmen schon 2006 der Zugang nach Haripur verwehrt.

Haripur ist nicht der einzige Erfolg der AKW-GegnerInnen in Indien. 1988 wurde in Peringome der Bau von AKWs verhindert und in den 90er Jahren in Kothamangalam, beide in Kerala. Kudankulam im benachbarten Tamil Nadu wurde zum Ersatzstandort für Peringome.

Siehe auch “Haripur sagt Nein zur Atomkraft”

Auch an alten Atomstandorten wie Tarapur und Kalpakkam mehren sich die Zeichen der Unzufriedenheit. Wenn all diese Bewegungen zusammen kommen, die Unterstützung in den großen Städten wächst und sich die Anti-Atombewegungen dann noch mit anderen Basis-Bewegungen gegen aufgezwungene Großprojekte verbinden, dann hat auch die Mehrheit der Menschen in Indien die Chance auf ein gutes Leben.