Liberalisierung

Um privatwirtschaftliche Investitionen und Kooperationen mit internationalen Konzernen zu fördern, verspricht die indische Regierung Änderungen im Haftungsrecht. Auch die Grenzwerte für die Strahlenbelastung der Bevölkerung werden in Frage gestellt.


Rechtliche Hindernisse beseitigen

Das Atomhaftungsgesetz sieht vor, dass bei Schäden, z.B. durch Unfälle, allein der Betreiber haftet. Der Betreiber kann sich aber bei Zulieferern schadlos halten (§ 17b). Trotz einer Haftungsobergrenze für den Betreiber im Atomhaftungsgesetz kann sich aus anderen Gesetzen des Zivil- und Strafrechts ein unbegrenzter Haftungsanspruch ergeben, da die Haftung nach anderen Gesetzen ausdrücklich nicht ausgeschlossen wird (§ 46).

Aktuell wird das Haftungsgesetz für Zulieferer umgangen, indem diesen vertraglich zugesichert wird, auf mögliche Regressansprüche zu verzichten. Beim AKW Kudankulam wurde die russische Rosatom auf diese Weise von jeglicher Haftung befreit (Tellis 2024, s.21). Ähnliches erwägen Modi und Trump (siehe Internationale Kooperation).

Amit Sharma, CEO bei Tata Consulting Engineers, fordert Änderungen, “um Klarheit in Bezug auf die zivilrechtliche Haftung zu schaffen und einen klar definierten Rahmen sowohl für die Betreiber als auch für die Zulieferer zu gewährleisten, der die Haftungsregelung berechenbarer und investitionsfreundlicher macht.” (EconomicTimes 17.3.25)

Im Klartext heißt das, dass Zulieferer gar nicht mehr haften, und Betreiber nur bis zu einem Betrag, den sie über Versicherungen abdecken. Im DAE wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, um entsprechende Gesetzesänderungen vorzubereiten (DAE 20.3.25).

Kostensenkung durch höhere Strahlenbelastung

Es darf bezweifelt werden, dass SMR-Hype, Privatisierung und Lockerung der Haftung einen Atomboom auslösen werden, um die angekündigten 100 GW im Jahre 2047 zu verwirklichen.

D. K. Aswal und Anirudh Chandra vom Bhabha Atomic Research Center analysieren in einem Artikel vom August 2024 die bisherigen jährlichen Wachstumsraten der Atomenergie und kommen so zu einer Prognose von 35 GW im Jahr 2047. Um das ambitionierte Ziel von 100 GW dennoch erreichen zu können, fordern die beiden Atomfanatiker neben der Stärkung der heimischen Wertschöpfungskette durch eine verbesserte Qualitätsinfrastruktur auch die Lockerung der strengen Strahlenschutzbestimmungen.

Weg mit LNT und ALARA

Der aus dem LNT-Modell und dem ALARA-Prinzip abgeleitete Dosisgrenzwert von 1 mSv/Jahr sei viel zu hoch. Das LNT-Modell (Linear-No-Threshold-Modell) besagt, dass jede noch so kleine Dosis ionisierender Strahlung ein Risiko für Schäden wie Krebs birgt, da es keinen sicheren Schwellenwert gibt. Das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) fordert, die Strahlenexposition durch praktische Maßnahmen so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar zu halten. Aswal/Chandra legen unter Hinweis auf “intrinsische biologische Reparaturmechanismen” einen Grenzwert von 100 mSv/Jahr nahe.

Grenzwerte für Todesfälle in Fukushima verantwortlich

Wegen zu strenger Grenzwerte seien nach dem GAU in Fukushima zu viele Menschen evakuiert worden, Todesfälle und schweres psychisches Leid seien die Folgen gewesen. Die Grenzwerte hätten zu einer Stigmatisierung der indischen Atomindustrie geführt. Schließlich hätten Studien gezeigt, dass Überlebende der Atombombe länger leben und weniger Krebsfälle hätten als der japanische Durchschnitt. Der Schilddrüsenkrebs bei Kindern nach Tschernobyl sei ja “meist nicht tödlich” gewesen.

Weniger Sicherheit für mehr Profit

Die Einführung eines Strahlungsrisikomodells mit Dosisschwellenwerten würde den Bedarf an umfangreichen Abschirmungen und redundanten Sicherheitssystemen verringern, könnte zu einem verbesserten Personaleinsatz während des Reaktorbetriebs und zu einer Lockerung der Vorschriften für die Sicherheitszonen um die Anlagen führen. Letztendlich würden die Kapital- und Betriebskosten sinken, was die Gesamtwirtschaftlichkeit von Nuklearprojekten verbessern würde.

Internationaler Trend

Soweit Aswal/Chandra. Ihre Forderung nach höherer Strahlenbelastung ist leider ernst zu nehmen. Auch das Strahlenkomitee der Vereinten Nationen (UNSCEAR) versucht eine Dosisschwelle von 100 mSv zu etablieren (kritisch dazu BUND). Das Trump-Regime unterstützt diese Bestrebungen (Project 2025).

Verzeichnis aller Beiträge zu Atom-Indien 2025