Dominik Müller hat das Buch zu den Wahlen in Indien geschrieben. Fast zeitgleich mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erschien sein Buch zu Indien bei Assoziation A.
Wer verstehen will, was die Menschen in Indien von ihrer neuen Regierung zu erwarten haben, muss dieses Buch lesen. Der neue Regierungschef Narendra Modi und die hindu-nationalistischen Parteien werden versuchen, die Interessen der Konzerne rücksichtslos durchzusetzen. Der Einsatz von Gewalt gehört dazu. Der Fortschritt fordert eben auch Opfer.
Am Beispiel der Atom- und Handelspolitik schildert Müller aktuelle Auseinandersetzungen in Indien, jeweils mit direktem Bezug zur deutschen Politik (Hermesbürgschaften für AKWs, Freihandelsabkommen mit der EU). Dominik Müller hat Reportagen, Essays, Interviews und Hintergrundinformationen zu einem gut lesbaren Buch verwoben. Für die LeserInnen dieses Blogs dürfte das Kapitel „Indien strahlt” von besonderem Interesse sein. Müller hat nicht nur mit Menschen in Jaitapur und Gorakhpur gesprochen, er schildert auch die indischen Kontroversen um das Atomabkommen mit den USA. Der letzte Teil des Buches ist dem vielfältigen Widerstand gegen den Hindu-Nationalismus gewidmet. Auf Gewerkschaften, Frauenorganisationen, maoistische Gruppen und die Aam Aadmi Partei geht Müller etwas ausführlicher ein.
Dominik Müller bezieht Position, bleibt dabei aber immer unaufdringlich. Er gibt den LeserInnen Stoff zum eigenen Denken. Quellenangaben und Literaturhinweise fehlen auch nicht.
Ein perfektes Buch? Fast.
Seine Einschätzung der Aam Aadmi Partei ist nicht nachvollziehbar. Müller irrt, wenn er schreibt, die AAP „ist die einzige Partei, die Atomkraft glaubwürdig ablehnt”. Im Wahlkampf sprach sich die AAP nicht einmal unmissverständlich für die Stilllegung des AKW Kudankulam aus (siehe dazu Graswurzelrevolution 390).
Von mangelhafter Recherche zeugt Müllers Behauptung, in Kudankulam seien „im Juli 2013 zwei Reaktoren des russischen Atomkonzerns Rosatom ans Netz gegangen”. Tatsächlich ging der zweite Reaktor noch nie ans Netz, er wurde auch noch nie hochgefahren. Der erste Reaktor wurde im Juli 2013 zum ersten Mal hochgefahren, ans Netz ging er im Oktober 2013. Seither wird getestet und nachgebessert. Zur Zeit (11.6.2014) ist der Reaktor mal wieder ausgefallen („Reactor tripped control system problem”, SRLDC-Report).
Müllers Fehlinformation mag als Indiz für die erfolgreiche Desinformation des indischen Atomestablishments durchgehen. Ärgerlich ist jedoch, wenn er der Hetzkampagne der Regierung aufsitzt, der Widerstand in Kudankulam sei von NGOs mit Geldern aus dem Ausland finanziert worden. Er behauptet, die vier NGOs, denen die Konten gesperrt wurden, „engagierten sich seit Jahren” gegen das AKW Kudankulam. Zu den betroffenen NGOs gehört nach Presseberichten auch eine Diözese der katholischen Kirche. Die katholische Kirche hat immer ihre Neutralität betont. Die Bewegung gegen das AKW Kudankulam wurde und wird von der lokalen Bevölkerung getragen, Fischer spenden regelmäßig einen Teil ihres Fangs. Eine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland gab es nie.
Dominik Müller sollte es besser wissen. Wer sein Buch gelesen hat, wundert sich nicht, wenn jetzt der indische Geheimdienst in einem Bericht an die neue Regierung behauptet, das Engagement vom Ausland unterstützter NGOs mindere das Wirtschaftswachstum in Indien um jährlich zwei bis drei Prozent. Greenpeace Indien sei eine Bedrohung für die „nationale wirtschaftliche Sicherheit” (Indian Express). Das ist eine klare Kampfansage.
Am Ende des Buches wirft Müller die Frage auf, „mit welchen Mitteln solidarische Organisationen im Westen zukünftig die (Überlebens-)Kämpfe in Indien überhaupt noch unterstützen können”. Globale Solidarität ist durch lokales Handeln möglich. Die internationalen (Atom-)Konzerne, die die Lebensgrundlage von Millionen Menschen in Indien zerstören, agieren auch in Deutschland.
Müller, Dominik: „Indien. Die größte Demokratie der Welt? Marktmacht Hindunationalismus Widerstand”, ISBN 978-3-86241-433-8, 192 Seiten, Paperback, 16.00 €
Eine Rezension des Buches hat Claudia Kramatschek verfasst, zum Hören oder Lesen.