Wo Atomkraftwerke die Lebensgrundlagen der Menschen gefährden, sei es durch Landnahme oder durch Verseuchung und Erwärmung des Meeres, regt sich lokaler Widerstand. Die AKW-Projekte an den Orten des Widerstands sind unterschiedlich weit fortgeschritten. An einigen Orten kämpfen die Menschen seit Jahren mit wechselndem Erfolg gegen die AKWs, an anderen regt sich gerade der erstmals Protest. Die AKWs in Gorakhpur, Banswara und Chutka sind Teil der Planung für 2032, an den anderen Standorten wurden noch nicht einmal Bodenuntersuchungen durchgeführt.
Gorakhpur in Haryana
In Gorakhpur sollen vier Schwerwasser-Reaktoren mit einer Bruttoleistung von je 700 MW gebaut werden. Unter massivem Polizeischutz wurde 2014 vom damaligen Regierungschef Singh der Grundstein gelegt. Ans Netz gehen sollten die ersten Reaktoren ursprünglich 2021 (WNA 26.3.2025).
Wegen des massiven Widerstandes verzögerte sich schon der offizielle Baubeginn um vier Jahre. Der Fertigstellungstermin wurde mehrfach verschoben, aktuell rechnet die indische Regierung mit 2031 (Dae 4.12.24 ). Zum Projektstand berichtet die verantwortliche NPCIL, die Ausgrabungsarbeiten seien abgeschlossen und und Gründungspfähle gegossen, Nebengebäude würden gebaut und die wichtigsten Komponenten seien in Auftrag gegeben (NPCIL Stand 20.4.25).
Nachdem die Bauern ihr Land gegen Kompensationszahlungen aufgegeben hatten, gab es noch Widerstand gegen die Nutzung von Gemeinschaftsland für die Siedlung der AKW-Beschäftigten. Dieser Protest war erfolgreich, die Siedlung wurde verlegt. Weiteren Widerstand gab es nicht mehr.
Mahi Banswara in Rajasthan
In Banswara sollen am Fluss Mahi vier AKW-Blöcke gebaut werden. Sie gehören zu der geplanten 10er Flotte von indischen 700-MW-Reaktoren. Bauherr ist das NPCIL-NTPC Jointventure ASHIVINI (NTPC 17.9.24). Rund 3.000 Menschen aus sechs Dörfern sollen vertrieben werden (DeccanHerald 2.8.24).
Dagegen wehrt sich die Adivasi-Bevölkerung seit Jahren. Die Parlamentswahlen letztes Jahr wurden boykottiert. Bei einer großen Versammlung im Juli letzten Jahres, wiesen die Protestierenden darauf hin, dass der Enteignungsprozess nicht rechtmäßig verläuft, da ihre örtlichen Räte übergangen wurden (Mooknayak 24.7.24).
Einen Monat später, am 2. August 2024 kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach unterschiedlichen Presseberichten scheint es so gewesen zu sein: Die NPCIL wollte beim Dorf Chhoti Sarwan eine Begrenzungsmauer errichten. Die Bewohner*innnen suchten das zu verhindern und ihr Land zu schützen. Angestellte der NPCIL riefen daraufhin die Polizei zu Hilfe. Diese setzte Schlagstöcke und Tränengas ein, um eine Straßenblockade zu räumen. Mit Steinen versuchten die Bewohner*innen die Polizei auf Distanz zu halten. Die Auseinandersetzungen dauerten an die drei Stunden, mehrere Menschen wurden verletzt, einige wurden festgenommen. Berichtet haben am 3.8.24 u.a. UdaipurTimes, EtvBharat und TimesNow.
“Der Landerwerb für Mahi Banswara ist im Gange” berichtet die NPCIL auf ihrer Webseite auch noch im April 2025.
Chutka und Seoni in Madhya Pradesh
In Madhya Pradesh gibt es kein AKW. Aber in Chutka im Distrikt Mandla soll seit zehn Jahren ein AKW gebaut werden. Weitere Standorte werden gesucht.
In Chutka sind zwei indische 700-MW-Reaktoren als Teil der 10er Flotte geplant (siehe Beitrag zur Planung 2032). Aus nicht genannten Gründen hat sich die NTPC aus dem Projekt zurückgezogen (ConstructionWorld 2.12.24), alleinige Bauherrin ist die NPCIL. Für Chutka wurde die Umweltgenehmigung erteilt. Die NPCIL behauptet auch für alle benötigten Grundstücke Besitzurkunden zu haben. Dennoch wurde bisher niemand ‘umgesiedelt’. Der Widerstand der lokalen Bevölkerung war erfolgreich. Das Baugelände ist unberührt (Stand Januar 2025). Doch die Spannungen und die Angst vor Vertreibung nehmen zu, seit auch im Nachbardistrikt Seoni Atomkraftwerke geplant werden.
Im Dezember 2024 tauchten in der indischen Presse Berichte auf, die NPCIL werde in Madhya Pradesh für vier mögliche AKW-Standorte Voruntersuchungen durchführen. Diese sind Basi im Distrikt Neemuch, Bawdikheda in Dewas, Khakron in Shivpuri und Kindrai in Seoni.
Daraufhin führten die Bewohner*innen von Kindrai und umliegenden Dörfern Protestversammlungen durch. Sie übergaben den örtlichen Behörden eine Protestresolution und kündigten entschlossenen Widerstand an, falls das AKW-Projekt nicht aufgegeben würde. Kindrai liegt nur wenige Kilometer von Chutka entfernt, getrennt durch den großen Narmada-Fluss. (GroundReport 30.12.24)
Von den anderen möglichen Standorten wurden bislang keine Proteste bekannt.
Koppal in Karnataka
Letztes Jahr fragte die Distriktverwaltung Koppals in einem Rundbrief an die unteren Verwaltungsbehörden, wo eine Gelände von 1.200 Acres (1 Acre = 0,4 Hektar) für Industrieanlagen, gemeint waren AKWs, verfügbar sei. Im Dezember wurden Arasinkeri und Hirebenkala gemeldet.Ein Inspektionsteam der NTPC tauchte Arasinkeri auf.
Noch im Dezember haben Arasinkeri und umliegende Dörfer offiziell Einspruch erhoben. 2.500 Dorfbewohner*innen kündigten an, kein Land abzugeben. Sie kündigten weitere Proteste an.
In Hirebenkala und umliegenden Dörfern wurden Protestversammlungen durchgeführt, die in einer Straßenblockade Anfang Januar mündeten. Die Bewohner*innen der Dörfer haben beschlossen, Widerstand zu organisieren. Vorsorglich, berichtete ein Bewohner des Dorfes Chikkabenakal, die Menschen im Dorf wüssten, dass das Gelände bei Hirebenkala nicht erste Wahl sei.
Informationen zu den Protesten in Koppal: HindustanTimes 21.12.24, DeccanHerald 29.12.24, NewIndienExpress 29.12.24, Federal 8.1.25.
Kerala
Im März diesen Jahres behauptete die indische Regierung gegenüber dem Parlament, derzeit gäbe es keine Pläne für den Bau eines AKW in Kerala (DAE 12.3.25). Noch im Dezember versicherte der Energieminister eben dieser Regierung, Kerala müsse für ein AKW nur ein Gelände von 150 Acre zur Verfügung stellen, dann bekäme es ein AKW. Cheemeni im Distrikt Kasaragod sei der richtige Ort dafür (Kaumudi 23.12.24). Der staatliche Stromkonzern Kerala State Electricity Board (KSEB) verhandelt mit der NPCIL über den Bau eines AKW mit zwei 220-MW-Blöcken und prüft neben Cheemeni auch Athirappilly in Thrissur als möglichen Standort (NationalHerald 24.9.24).
Ein Kuriosum am Rande: Ende 2023 hatte die linke Regierung Keralas vorgeschlagen, in Kayamkulam im Distrikt Alappuzha auf dem Gelände der NTPC ein Thorium-AKW zu bauen, um die großen Thorium-Vorkommen in Kerala zu nutzen. Thorium-SMR seien einfach zu installieren und sicherer, sie hätten eine Kapazität von 30 bis 300 MW und da sie modular seien, könne die Kapazität inkrementell erweitert werden, erklärte das zuständige Regierungsmitglied Jyothilal (NewIndienExpress 18.11.23) Auch ein Jahr später fantasiert die Regierung Keralas, aus Thorium könne Strom für 1 Rupie pro Kilowattstunde erzeugt werden (Kaumudi 23.12.24).
In Kerala hat seit vierzig Jahren niemand mehr versucht, Atomkraftwerke zu bauen. Damals wurde der Bau zweier AKWs verhindert. Insbesondere die Bewegung gegen das AKW Peringome organisierte sich auf Staatsebene (DiaNuke 3.4.12). Von Kerala aus wurde auch der Kampf in Kudankulam unterstützt (DiaNuke 28.9.11).

Anti-Atomkraft-Aktivist SP Udayakumar eröffnet eine Versammlung gegen das geplante Atomkraftwerk in Cheemeni im Dezember 2024
So überrascht wenig, dass die AKW-Pläne nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch bei Aktivist*innen in ganz Kerala Widerspruch ausgelöst haben. Im Dezember fand eine Versammlung mit SP Udayakumar, bekannt aus dem Widerstand gegen das AKW Kudankulam, statt. Zum AKW-Plan in Cheemeni sagte er: „Die Menschen in der Region sind sich der Gefahren dieses Projekts bewusst. Sie sind bereit, dagegen vorzugehen, mit Unterstützung aus dem ganzen Bundesstaat und darüber hinaus“ (NewsMinute 23.1.25). In Cheemeni wurden vor fast fünfzehn Jahren schon Kohle- und LNG-Kraftwerke verhindert (NewsMinute 20.2.24). Die AKW-Pläne stehen ganz am Anfang, der Widerstand auch.
Nach Beiträgen zu den Folgen (Mehr CO2, mehr Risiken) und Hintergründen (Atomindustrie für atomare Aufrüstung) des aktuellen Atomprogramms folgt als letzter Teil dieser Reihe ein Kommentar zum Widerstand gegen Atomenergie in Indien (Anti-AKW-Bewegung(en) gegen eine Atommacht).