Nuclear Lies – Informationen zum gleichnamigen Film über die indische Atomindustrie

 

“18.Mai 1974: Ein friedliches Nuklearexperiment wurde in Pokhran, Rajasthan, durchgeführt.”

(Bhabha Atomforschungszentrum BARC)

Aktuell sind in Indien 20 Atomkraftwerke an 7 Standorten im Betrieb. Sie haben insgesamt eine Nennleistung von 5.680 Megawatt. Die indische Atomindustrie umfasst die komplette Nuklearkette, vom Uranabbau, über Anreicherung, Brennelemente- und Bombenproduktion und Wiederaufarbeitung bis zur Zwischen-Endlagerung. Der Film “Nuclear Lies” zeigt nicht alle Atomanlagen, deckt aber die ganze Breite der Atomindustrie ab.

Indien setzte sehr früh auf Atomkraft. Das schon in den 50er Jahren entworfene Atomprogramm sollte in drei Stufen eine autarke Energieproduktion erreichen: Schwerwasserreaktoren, Schnelle Brüter, Thoriumreaktoren. 1969 gingen die ersten AKWs ans Netz. Nach einem Atombombentest 1974 wurde gegen Indien ein Atomembargo verhängt.

2008 wurde das Embargo aufgehoben. Dem Atom-Abkommen zwischen Indien und USA folgten ähnliche Vereinbarungen mit anderen Ländern. Die indischen Atomanlagen wurde in einen militärischen und einen zivilen Bereich aufgeteilt. Die zivilen AKWs wurden der Aufsicht der IAEO unterstellt. Teil der Vereinbarungen war auch Indiens Zusage, AKWs zu importieren: Den Konzernen Areva, Rosatom, Westinghouse und General Electric wurden Standorte für jeweils sechs Reaktoren zugesichert.

Als erstes profitierte der französische Staatskonzern Areva. Er lieferte das dringend benötigte Uran. Der indische Uranabbau hatte nicht mit dem zivilen und militärischen Bedarf Schritt halten können. Die Auslastung der Atomkraftwerke betrug 2008 wegen Uranmangels nur 50 Prozent.

In den nächsten Abschnitten folgen Informationen zu den Stationen des Filmes, dann einige Hinweise auf die Sicherheitsbilanz der indischen Atomindustrie an anderen Orten. Abschließend einige Sätze zur Beteiligung Deutschlands und zu unseren Handlungsmöglichkeiten.

Uran aus Jadugoda

“Konfrontiert mit Berichten über die hohe Anzahl von Menschen mit Fehlbildungen in Dörfern um Minen der Uranium Corporation of India Ltd., sagte deren Vorsitzender: ‘Ich würde mich nicht wundern, wenn eine Menge dieser Menschen von anderswo hergebracht wurden, ok?’ ”

(Bloomberg am 23.7.2014)

Jadugoda im ostindischen Bundesstaat Jharkand liefert seit 1967 einen Großteil des einheimischen Urans. Das in mehreren Minen abgebauten Uranerz wird in der Uranmühle Jadugoda zu Uranerz (“Yellow Cake”) weiterverarbeitet. Aus zwei Tonnen abgebautem Erz wird dabei etwa 1 kg Yellow Cake gewonnen.

Dabei verbleiben große Mengen schlammiger Rückstände, die in Absetzbecken (“Tailings”) gelagert werden. Die Schlämme enthalten noch 85% der ursprünglichen Radioaktivität. Dazu kommen andere Schadstoffe wie Schwermetalle und Arsen. In der Trockenzeit wird der Staub der Rückstände durch die Dörfer geweht und während des Monsunregens läuft radioaktiver Abfall in die umliegenden Bäche und Flüsse. Radioaktiver Abraum aus den Minen und Sand aus den Absetzbecken wurden in den Dörfern beim Haus- und Straßenbau verwendet. Bei den häufigen Rohrbrüchen bei den Zuleitungen zu den Absetzbecken ergießt sich der giftige Schlamm in die Felder und Dörfer.

Entsprechend katastrophal sind die Folgen für die Bevölkerung: Krebserkrankungen, Fehlbildungen, Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten – durch unabhängige Studien belegt, von der für den Uranabbau verantwortlichen staatseigenen Uranium Corporation of India (UCIL) bestritten.

Das einheimische Uran wird für militärische Zwecke und die sieben nicht der internationalen Kontrolle unterliegenden AKWs verwendet. Das Uran für die anderen AKWs wird importiert, zur Zeit aus Russland, Usbekistan, Kanada und Kasachstan. Eine Transportroute führt von Sankt Petersburg über den Hamburger Hafen nach Mumbai.

Weitere Informationen zu Jadugoda bei IPPNW und WISE, Studien von der Universität Kyoto und den Indian Doctors for Peace and Development.

Bomben aus Trombay

“Die Kernaufgabe des BARC ist die Unterstützung der friedlichen Nutzung des Atomenergie.”

(Wikipedia)

In Trombay, einem nordwestlichen Vorort Mumbais, entwickelt und produziert das Bhaba-Atomforschungszentrum (BARC) Atomsprengköpfe z.B. für die Agni-Raketensysteme. In Trombay befinden sich mehrere Forschungsreaktoren, Anlagen zur Urananreicherung, zur Wiederaufarbeitung und zur Brennelementproduktion. Die Atomanlagen dienen zumindest auch militärischen Zwecken. Forschungsreaktoren in Trombay lieferten Plutonium für die Bombentests 1974 und 1998 (Ramana 2012, s.123).

Im Hafen von Mumbai waren Radionuklide aus Trombay nachweisbar, der flüssige Abfall aus der Wiederaufarbeitung wird ins Meer abgeleitet. Eineinhalb Kilometer von der Atomanlage entfernt wurden um den Faktor 50 erhöhte Werte für Jod-129 gemessen (Ramana 2012, s.119, s.233). 1991 brachen Rohre in den Reaktoren CIRUS und Dhruva und verseuchten Erde und Pflanzen (Greenpeace India). Im August diesen Jahres beklagte ein Mitarbeiter in Trombay, sein Vorgesetzter habe angeordnet, bei der Ableitung radioaktiven Materials die Grenzwerte zu ignorieren.

Die USA, Großbritannien, Kanada und Frankreich lieferten Technik und Knowhow für die Atomanlagen. 1984 lieferte die Hanauer Degussa trotz Atomembargo Beryllium, das bei Atombomben als Neutronenquelle zur Initiierung der Kettenreaktion verwendet wird.

Todesquelle Tarapur

“Im Oktober dieses Jahres (2011) vollenden die Einheiten 1 und 2 in Tarapur 42 Jahre ununterbrochenen Betrieb … Diese Periode beweist die Stabilität und die Zuverlässigkeit, die bei indischen Atomkraftwerken systemimmanent sind. … Tarapur hat sich dank seiner außerordentliche Leistung zu einem weltweiten Leitbild entwickelt.”

(Nuclear Power Corporation of India Ltd., NPCIL 2011)

In Tarapur an der Westküste Indiens, einhundert Kilometer nördlich von Mumbai, gingen 1969 zwei Siedewasser-Reaktoren (TAPS 1 und 2) ans Netz, gebaut von General Electric und Bechtel. 2005/6 folgten zwei indische Schwerwasserreaktoren (TAPS 3 und 4). Zum Atomkomplex Tarapur gehören auch Anlagen zur Wiederaufarbeitung, zur Brennelementproduktion, zur Abfallverglasung und zur Lagerung von Atommüll.

Schon 1988 berichtete der Spiegel: “Experten nennen die Reaktoren eine ‘Todesquelle’; außer Tschernobyl seien sie ‘die am meisten verseuchten KKW der Welt’. Bei Unfällen leckte radioaktiv hochbelastetes Wasser, drei Menschen kamen ums Leben, Hunderte wurden weit überhöhten Strahlenwerten ausgesetzt.”

Von Anfang an waren TAPS 1 und 2 von zahlreiche technische Probleme geprägt: Risse in den Rohren, Korrosion durch Meerwasser, Pumpenversagen, Lecks, Verstrahlung des Sekundärkreislauf und dergleichen mehr. Zeitweise waren Teile der Reaktoren so stark kontaminiert, dass fest angestellte Arbeiter bei Wartungsarbeiten innerhalb weniger Minuten ihre Maximaldosis erreicht hätten. Nur mit dem Einsatz schlecht informierter Leiharbeiter konnte der Betrieb aufrecht erhalten werden (Ramana 2010). 1985 fielen Dampfgeneratoren aus (Ramana 2012, s.51). Die Nennleistung der beiden Reaktoren wurde kurzerhand von 210 auf 150 MW reduziert. Das schönt die Leistungsstatistik. Die IAEO-Statistik zeigt dennoch, dass TAPS 1 im Jahre 1987 fast zehn Monate ausgefallen war. Diese Betriebsunterbrechung könnte mit dem Bruch einer Gummidichtung zusammenhängen. Der Spiegel berichtete: “Das Reaktor-Gebäude in Tarapur wurde mit radioaktiv verseuchtem Wasser überflutet, hundert Kubikmeter davon gelangten durch einen Regenwasserkanal in die Umgebung. Größere Erdflächen mussten abgetragen werden.” Fünf Jahre später wurde durch ein Leitungsleck erneut massiv Radioaktivität freigesetzt.

Der Film “High Power” (Trailer) schildert eindrücklich die Lebenssituation der Menschen in den Dörfern um die Atomanlagen. Viele ehemalige Fischer arbeiten nun als Leiharbeiter in den AKWs.

Im Rahmen des Atomembargos nach dem Atombombentest 1974 stellten die USA die Lieferung von angereichertem Uran und von Ersatzteilen nach Tarapur ein. Uran aus Frankreich, China und Russland und technische Komponenten von Siemens/KWU ermöglichten den Weiterbetrieb der AKWs trotz Embargo.

Kalpakkam – Bäume gegen Tsunami

“In Indien gibt es keine Tsunamis.”

(Sicherheitsanalyse zu den indischen Schwerwasserreaktoren 1986, Outlook India)

Kalpakkam liegt an der Ostküste Indiens knapp 60 Kilometer südlich von Chennai. Wer von dort über die Küstenstraße zum Aurobindo Ashram nach Puducherry fährt, kommt durch Kalpakkam. Wer wie Millionen andere Touristen in Mamallapuram / Mahabalipuram übernachtet, hat es nicht weit zu den Atomanlagen, gerade mal sechs Kilometer den Strand entlang nach Süden bis zur “Madras Atomic Power Station” (MAPS).

Die beiden Schwerwasserreaktoren MAPS 1 und 2 gingen 1983 und 1985 in Betrieb. Zu dem Atomkomplex nördlich von Kalpakkam gehören weitere Atomanlagen: Forschungs- und Testreaktoren unter anderem für U-Boote. Der Prototyp eines Schnellen Brüters mit 500 MW soll dieses Jahr hochgefahren werden. Dazu kommen mehrere Wiederaufarbeitungsanlagen und Zwischenlager auch für hoch radioaktiven Müll.

Obwohl die Nennleistungen von MAPS 1 und 2 schon 1990 von 220 auf 150 MW reduziert wurden, weist die IAEO-Statistik nur durchschnittliche Jahresleistungen von 51, bzw. 55 Prozent aus. MAPS 1 war in den Jahren 2004 und 2005 keinen Tag am Netz.

Notorisch sind Schwerwasserlecks der MAPS-Reaktoren (Banerjee 2008, s.41). 1999 liefen bis zu vierzehn Tonnen schweres Wasser aus, bei den Aufräumarbeiten erhielten die Arbeiter innerhalb weniger Stunden die zulässige Jahreshöchstdosis von 30 Milli-Sievert. Am 21. Januar 2003 lief wegen eines defekten Ventils in der Wiederaufarbeitungsanlage KARP hochradioaktives Wasser in einen Tank, der für niedrig radioaktives Wasser vorgesehen war. Arbeiter erhielten eine Strahlendosis von 420 Milli-Sievert. Mit Arbeitsniederlegungen, Dienst nach Vorschrift und Hungerstreiks forderten die Beschäftigten danach bessere Schutzeinrichtungen. Der angeblich schwerste Strahlenunfall in der Geschichte der indischen Atomindustrie wurde erst durch die Aktionen der Beschäftigten öffentlich. (EPW 2010, OUCIP 2013)

Der Tsunami 2004 traf auch die Atomanlagen in Kalpakkam. Ein MAPS-Reaktor war bereits abgeschaltet, der andere wurde automatisch heruntergefahren, als das Pumpengebäude geflutet wurde. Die Baugrube für den Prototyp-Schnellen-Brüter wurde überschwemmt, eine Arbeiterin starb dort. Dreißig weitere Beschäftigte starben in der Siedlung, die von den Atomgesellschaften nah am Meer errichtet worden war.

Offizielle Stellen bestätigen, dass Tsunamis bei der Konstruktion der AKWs nicht berücksichtigt worden waren und beruhigen: Der neue Schnelle Brüter sei auf einen Wasserstand von 6,45 Metern über dem durchschnittlichen Meeresspiegel ausgelegt, beim Tsunami 2004 sei dieser nur um 4,71 Meter überschritten worden. Es seien auch spezielle Bäume gepflanzt worden, die die Auswirkungen eines Tsunami abschwächen könnten.

Kudankulam – neu und doch schon marode

“Die Leute mögen heute über Tsunamis reden, durch unsere Sicherheitsexperten wurden diese aber bereits Mitte der siebziger Jahre vorausgesehenen. Sie bestanden darauf, dass verschiedene Sicherheitskomponenten so hoch installiert wurden, dass Tsunamis ihnen nichts anhaben könnten. Diese Komponenten bestanden dann ja auch gut den Test während des Tsunami 2004 in Kalpakkam.”

(Sicherheit des AKW Kudankulam, Expertenbericht der indischen Regierung, Dezember 2011)

Schaut man am östlichen Strand Kanyakumaris an der Südspitze Indiens Richtung Norden, erkennt man bei klarem Wetter die Umrisse von zwei Reaktorkuppeln: das AKW Kudankulam mit zwei Druckwasserreaktoren von Rosatom. Der erste Block ging im Oktober 2013 in den Probebetrieb. Nach vielen Notabschaltungen und Terminverschiebungen wurde am 31.12.2014 der kommerzielle Betrieb erklärt. Zwei Wochen später musste der Reaktor zum ersten Mal in diesem Jahr heruntergefahren werden, Mitte Mai zum zweiten Mal. Seither brachte der Reaktor nur noch sechzig Prozent seiner Nennleistung. Ende Juni begann die Jahresinspektion. Es gibt Probleme. Frühestens Ende September soll die “Inspektion” abgeschlossen werden. Die Inbetriebnahme des zweiten Reaktors verzögert sich Monat um Monat. Dennoch soll im Frühjahr 2016 mit dem Bau von zwei weiteren Blöcken begonnen werden.

Beim Tsunami 2004 starben auch Menschen in der Nähe Kudankulams. Einrichtungen der AKW-Baustelle wurden überflutet. Nur wenige Hundert Meter vom AKW-Gelände entfernt wurde eine Siedlung für Opfer des Tsunami errichtet. Und nach Fukushima versicherten Regierungsexperten im oben zitierten Bericht:

“Anders als in Fukushima ist das gleichzeitige Auftreten von Tsunamis und Erdbeben in Kudankulam nicht möglich.

Während des Baus des AKWs starben Arbeiter durch Stromschläge. Bei einem Unfall im Mai 2014 wurden Beschäftigte verbrüht und erlitten schwerste Brandverletzungen. In den AKWs wurden Komponenten, aus minderwertigem Stahl verbaut, Kabel wurden nicht fachgerecht verlegt, der Reaktorkessel wurde mit fehleranfälligen Schweißnähten geliefert.

Der massive Widerstand der Bevölkerung wurde mit brutaler Staatsgewalt niedergeschlagen. Die Anti-Atom-Bewegung beklagt vier Todesopfer. Todesursachen sind Polizeischüsse, niedrig fliegende Flugzeuge der Küstenwache und die Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung während der Haft. Die Anti-AKW-Bewegung wurde mit einer beispiellosen Kriminalisierungswelle überzogen. Die Verfahren ruhten jahrelang, im August diesen Jahres wurden die ersten Verfahren gegen mehr als 100 Atom-GegnerInnen eröffnet.

In Jaitapur das größte AKW der Welt?

“Niemand sollte sagen, dies sei ein unerprobter und ungetesteter Reaktor. Er wurde mehr als 25 Jahre lang erprobt und getestet … Daher stimme ich überhaupt nicht zu, dass dies eine unerprobte Technologie sei, genau das Gegenteil ist der Fall. Viele Reaktoren diesen Typs wurden gebaut und sie werden in Frankreich sicher und effizient betrieben.”

(Bernard Bigot, damals Vorsitzender der französischen Atomenergiekommission, in einem in Indien ausgestrahlten Fernseh-Interview über den EPR)

In Jaitapur an der Westküste Indiens, etwa 100 km nördlich von GOA und gut 250 km südlich von Mumbai, soll das größte AKW der Welt gebaut werden. Sechs EPR-Reaktoren von Areva mit jeweils einer Nennleistung von 1.650 MW. “EPR” steht mal für European Pressurized Reactor, mal für Evolutionary Power Reactor, mal für nichts. Nirgendwo wurde ein EPR fertiggestellt oder gar in Betrieb genommen. In Frankreich, Finnland und China gibt es EPR-Baustellen. Die EPR-Projekte wurden durch Kostenexplosionen, Terminverschiebungen und Qualitätsmängel berüchtigt.

Gegen die AKW-Pläne wehrt sich die lokale Bevölkerung. Landbesitzer verweigerten jahrelang die Annahme der Kompensationszahlungen für das enteignete Bauland. Fischer fürchten um ihre Existenz – das Kühlwasser aus den AKWs wird das Meer erwärmen. Jaitapur liegt in einem Erdbebengebiet. Auch in Jaitapur reagierte der Staat mit Gewalt auf den Protest: Am 18.April 2011 wurde der junge Fischer Tabrej Sayekar bei einer Demonstration erschossen.

Der französische Staatskonzern Areva sollte die EPRs nach Jaitapur liefern. Zu mehr als Absichtserklärungen und technischen Vorprojekten hat es bisher nicht gereicht, über den Preis konnte keine Einigkeit erzielt werden. Inzwischen muss Areva auf Geheiß der französischen Regierung seine AKW-Sparte an EdF (Électricité de France) abgeben. Die Übernahmeverhandlungen laufen noch. Was dies für Jaitapur bedeutet ist derzeit unklar.

… und anderswo alles sicher?

“Die Sicherheitsbilanz der indischen Atomkraftwerke ist makellos – ohne jeglichen Vorfall, bei dem die Allgemeinheit signifikanter Radioaktivität ausgesetzt worden wäre.”

(Indian Nuclear Society)

Wer glaubt, für den Film Nuclear Lies seien die übelsten Standorte ausgewählt worden, täuscht sich. An allen AKW-Standorten kam es schon mehrfach zu ernsthaften Unfällen. Hier einige Beispiele:

In der Rajasthan Atomic Power Station (RAPS) werden sechs Schwerwasserreaktoren betrieben und zwei gebaut. 1995 flossen radioaktives Helium und Schweres Wasser in den Rana Pratap Sagar Fluss. Die Reparaturarbeiten dauerten mehrere Jahre. 2004 entwichen durch ein Leck große Mengen Tritium in die Atmosphäre. RAPS 1 lieferte laut IAEO-Statistik seither keinen Strom mehr, offiziell ist dieser Reaktor noch in Betrieb.

In Narora Atomic Power Station (NAPS) kam es 1993 zum wohl gefährlichsten Vorfall in der Geschichte der indischen Atomindustrie. Die Kraftwerksbetreiber hatten Hinweise auf Konstruktionsfehler bei der Turbine in den Wind geschlagen. Am 31.März brachen dann zwei Turbinenflügel. Ausgelaufenes Öl geriet in Brand, ein Kabelbrand setzte die gesamte Elektrik außer Kraft. Wegen der Rauchentwicklung musste der Kontrollraum verlassen werden. Im Ersatzkontrollraum funktionierte wegen des Stromausfalls nichts. Das Abschaltsystem des Reaktors wurde manuell in Gang gesetzt, Ventile wurden geöffnet, um Borflüssigkeit in den Reaktorkern zu schütten. Erst nach 17 Stunden war wieder Strom verfügbar. In den Jahren 2000, 2001 und 2003 entwichen durch Lecks jeweils mehrere Tonnen Schweres Wasser. Arbeiter wurden verstrahlt.

1994 drang Wasser in die Kakrapar Atomic Power Station (KAPS). Der Kontrollraum war nur schwimmend zu erreichen. Zur Katastrophe kam es lediglich deshalb nicht, weil das AKW heruntergefahren war. Der Vorfall kam erst an die Öffentlichkeit, als der Gewerkschafter Manoj Mishra  “unautorisiert” mit der Presse sprach. Manoj Mishra wurde deshalb entlassen.

Im gleichen Jahr stürzte im AKW Kaiga die Reaktorkuppel ein. 150 Tonnen Beton fielen herab, 14 Arbeiter wurden verletzt. Das AKW war noch nicht in Betrieb, an der Verkabelung wurde noch gearbeitet. Im gleichen AKW wurde im Jahr 2009 bei 55 Arbeitern Tritium im Urin festgestellt. Der damalige Premierminister Singh versicherte schnell “Kein Grund zur Sorge. Ein kleiner Fall von Kontamination, kein Leck. Alle Systeme unter Kontrolle. Eine Untersuchung ist angeordnet.” Die Arbeiter seien sicher, es gäbe kein Leck, eine kleinere Strahlenexposition versicherte auch die NPCIL. Später war dann von Sabotage die Rede, Tritium sei in den Trinkwasserkühler geschüttet worden.

In Nuclear Fuels Complex in Hyderabad wird unter anderem das Uran aus Jadugoda verarbeitet. Die Behörden warnen davor, das Grundwasser in der Nähe der Atomfabrik zu trinken.

Atomausstieg auf deutsch

“In Fukushima haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können. Wer das erkennt, muss die notwendigen Konsequenzen ziehen.”

(Regierungserklärung Merkels im Juni 2011)

Der Atomausstieg der deutschen Allparteien-Koalition ist eine Lüge. Die Urananreicherungsanlage in Gronau hat eine unbefristete Betriebserlaubnis, ebenso Arevas Brennelementefabrik in Lingen. Die Atomforschung wird weiter gefördert. Der Export von Atomtechnologie kann weiterhin durch Hermesbürgschaften abgesichert werden. Zahlreiche kleine und große Unternehmen in Deutschland beteiligen sich als Zulieferer am AKW-Bau in aller Welt. Der Hambuger Hafen ist eine Drehscheibe für internationale Atomtransporte. Radioaktive Transporte auf Straßen und Schienen bleiben geheim.

Die Beschäftigten bei Areva in Offenbach hoffen auf eine Übernahme durch EdF, um so doch noch die AKWs in Jaitapur mitbauen zu können. Bei Areva Erlangen werden Leit-und Sicherheitssysteme für Atomkraftwerke entwickelt und gewartet. Alle mit Kudankulam baugleichen Reaktoren der Rosatom nutzen diese Systeme. Auch Siemens liefert weiterhin Komponenten für AKWs, auch nach Kudankulam. Die Kaefer Group, in Kiel als Rüstungsfirma geoutet, lieferte nach eigenen Angaben Isolierungen nach Kudankulam. Die Hunger KG aus Lohr am Main exportierte trotz des Embargos Ersatzteile für indische Atomkraftwerke. Im November 1997 wurde der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Walter Hunger rechtskräftig verurteilt, weil er Dichtungen an die Kakrapar Atomic Power Station in Indien geliefert hatte. Über eine indische Tochterfirma beliefert die Hunger KG auch heute noch die NPCIL.

Für Westinghouse Nuclear arbeiten in Mannheim einige Hundert Menschen. Westinghouse will im indischen Mithi Virdi Atomkraftwerke bauen. Westinghouse liefert auch Brennelemente an deutsche AKWs. Die Frankenthaler Klein, Schanzlin & Becker AG (KSB) hat über ihre indische Tochterfirma Pumpen für fast alle indischen Atomkraftwerke geliefert. Bereits 1977 hatten die Revolutionären Zellen mit einer Aktion auf diesen Atomprofiteur aufmerksam gemacht, “der ganz im Stillen, aber dort im großen Rahmen wirkt.”

Was können wir tun?

Die besten Ideen habt ihr sicherlich selbst. Hier nur einige Anregungen:

  • Information ist das erste. Die Zeitschrift AntiAtomAktuell berichtet regelmäßig über die Anti-Atom-Bewegung in Indien. Im Web sind dianuke.org (englisch) und indien.antiatom.net gute Ausgangspunkte. Per Mail an indien@antiatom.net kann ein kostenloser Newsletter bestellt werden.
  • Eigene Recherche kann manche Überraschung zu Tage fördern. Was machen die Firmen in meiner Gegend eigentlich genau? Atomprofiteure freuen sich, wenn wir ihr schmutziges Geschäft öffentlich machen.
  • Die meisten Indienreisenden wissen mehr über Ashrams und Gurus als über die Atomindustrie. Wir können versuchen, zu erklären, warum ein Geigerzähler im Reisegepäck nicht fehlen sollte.
  • Wir können uns transnational vernetzen. Postkarten an die Widerstandsbewegung gegen das AKW-Kudankulam können ein Anfang sein. Partnerschaften zwischen Gruppen in Deutschland und Indien wären das Ziel.
  • Bei einigen unserer Aktionen gegen Urantransporte und Atomfirmen gibt es womöglich eine Verbindung zu Indien. Dianuke veröffentlicht gerne englischsprachige Berichte.
  • Indische Botschaft und Konsulate reagieren sehr empfindlich, wenn wir dort für die Rechte der indischen Anti-Atom-Bewegungen und gegen Repression demonstrieren.

Übersichten zur indischen Atomindustrie:

http://de.atomkraftwerkeplag.wikia.com/wiki/Indien

http://www.world-nuclear.org/info/Country-Profiles/Countries-G-N/India/

Literatur:

[Banerjee 2008] B.Banerjee, N.Sarma; Nuclear Power in India; New Delhi 2008

[Ramana 2012] M.V. Ramana; The Power of Promise; Viking 2012

One thought on “Nuclear Lies – Informationen zum gleichnamigen Film über die indische Atomindustrie

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